C D s
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NEUES AUS
DER MUSIKWELT
„Ich mag mich nicht
in Klängen suhlen"
Cathy Krier
Die meisten jüngeren Pianisten stürzen
sich auf das romantische Klavierreper-
toire
von
Chopin
bis
Rachmaninow,
Cathy Krier dagegen hat eine besonde-
re Liebe zur Moderne. STEREO erlebte
die Luxemburgerin im Gespräch und bei
einer Aufnahmesession
STEREO:
W a ru m kom binieren Sie a u f I h -
re r aktu e lle n C D den B arockkom ponisten
Je a n -P hilippe R am eau m it dem N e u tö n e r
G yörgy Ligeti?
Cathy Krier:
Obwohl einige Jahrhunderte
dazwischen liegen finde ich, dass Rameau
und Ligeti gut zusamm enpassen. Rameau
war ein Visionär seiner Zeit, der nicht nur
die Tonalität weiter vorangebracht hat, son-
dern auch der erste bedeutende Komponist
war, der eine Musiktheorie schrieb. Auch bei
Ligeti gibt es diese Suche nach einer neuen
Klangsprache. Zudem bevorzugen beide sehr
klare Strukturen. Und auch wenn bei Ligeti
eine weit größere D ynam ik m it im Spiel
ist, habe ich ähnliche Klangvorstellungen:
D er Ton soll nicht schön und groß im ro-
mantischen Sinne sein, sondern sehr direkt
kommen.
STEREO:
Versuchen Sie bei Ram eau a u f dem
Flügel einen C em balo-K lang zu im aginieren?
Krier:
Da kom m t man gar nicht dran vorbei,
denn diese Stücke wurden ja für Cembalo
geschrieben. Zwar glaube ich nicht, dass
sie stark an das Instrum ent gebunden sind.
Aber m an sollte die K langästhetik eines
Cembalos im Hinterkopf behalten, um zu
einer Klangkultur zu finden, die dem Kom-
ponisten und der Epoche gerecht wird, im
Fall von Rameau klar und perlend.
STEREO:
Spezialisieren Sie sich a u f w eniger
gespielte Stücke, w e il d e r T o n trä g e rm a rkt
schon so verstopft ist?
Krier:
Jein. Die Werke m einer CDs habe
ich eingespielt, weil ich auf die Lust hatte.
Aber natürlich erscheint es, wenn m an jung
und unbekannt ist, wenig sinnvoll, Beetho-
ven-Sonaten oder Chopin-N octurnes auf-
zunehm en. Egal, wie gut m an spielt: Man
wird imm er verglichen werden m it den ganz
Großen. Zudem m acht es die Kenntnis die-
ser Einspielungen schwierig, einen eigenen
Zugang zu finden. Dabei können gerade wir
Pianisten ja aus einem riesigen Repertoire
schöpfen, in dem vieles zu Unrecht unbe-
achtet bleibt.
STEREO:
A uch a u f Ih re r d ritte n C D m eiden
Sie das zentrale K lavierrepertoire: die ro m a n -
tischen W erke des 19. Jahrhunderts.
Krier:
Schon als Kind war ich fasziniert
von Komponisten des 20. Jahrhundert wie
Bartok oder Prokof ew, auch zu Hause wurde
viel m oderne M usik gehört und gespielt.
Die Rom antik dagegen interessierte mich
damals nicht, russsische Komponisten im
Stil von Rachm aninoff entsprechen im m er
noch nicht m einer Natura. Generell mag
ich m ich nicht in Klängen suhlen, m ir sind
Grenzen wichtig.
STEREO:
Viele der K om ponisten, m it denen
Sie sich beschäftigen, bevorzugen durchsich-
tige u n d klare S tru ktu re n : Ram eau, M o za rt,
Ligeti. U nd selbst C hopin verstehen Sie eher
als K lassiker denn als R o m a n tike r .
..
Krier:
Es gibt einen Satz von Rubinstein über
Chopin, wo er sinngemäß sagt, dass Chopin
ein Klassiker m it den Idiomen der Romantik
sei, weil er in dieser Epoche geboren wurde
- diese Ansicht hat m ich geprägt. Für mich
ist diese M usik viel subtiler und reicher,
wenn m an sich beim Spielen auf die Noten
beschränkt. M it den hochrom antischen
Chopin-Auffassungen kann ich sehr wenig
anfangen, oft wird es dann geschmacklos.
STEREO:
Was fa s z in ie rt Sie an M usik?
Krier:
M ich interessieren Strukturen, des-
halb m ag ich es auch so, Beethoven zu spie-
len. Auch Ligetis Musik ist sehr intellektuell
geprägt. Man muss das intellektuelle Gerüst
verinnerlicht haben, allein über Intuition
findet m an keinen Zugang, sondern m an
verliert sich. Andererseits sind die Klänge
zugleich äußerst assoziativ, Struktur und
m usikalischer A usdruck befinden sich in
einer sehr guten Balance.
STEREO:
Im Unterschied zu Ih re r h e rvo rra -
genden zw eiten C D m it W erken Janäceks h a t
m ich Ih r D e b ü t nich t durchgängig überzeugt:
H aydns f-M o ll-V a ria tio n e n erschienen m ir zu
vordergründig, ich habe G rundw ärm e, dunkle
E infärbungen u nd In nenspannung verm isst.
Krier:
Es gibt Grundparam eter, die bei ei-
ner Interpretation stim m en müssen, vieles
weitere aber ist Ansichtssache - das ist ja
das Schöne an Musik. Zudem ist eine CD ja
nur eine M omentaufnahme, m an entwickelt
sich weiter.
STEREO:
Besonders Zeitgenössische M u s ik
e rfo rd e rt o ft einen ungew öhnlichen A rb e its-
aufw and.
Krier:
Um zum Beispiel „Vox Balaenae“
von George Crum b aufzuführen, benötigte
ich Glasplatten, die m an auf die Saiten des
Flügels legt und einen Meißel, um auf dessen
Saiten zu streifen, denn es sollten Walklänge
nachgeahmt werden. Als ich dies einem Ver-
käufer in einem Baumarkt erklärte, schaute
der m ich völlig entgeistert an. Er empfahl
m ir immerhin, den Meißel etwas abzuschlei-
fen, dam it ich m ich nicht verletze. Für ein
anderes W erk dieses Konzertes brauchte
ich Schrauben, die ich zwischen die Saiten
eindrehen sollte. Nachdem der Verkäufer so
konsterniert reagierte, habe ich m ich aber
nicht m ehr getraut, ihn deswegen um Rat
zu fragen (lacht).
In t e r v ie w : A n d r e a s K u n z
Cathy Krier: „Rameau, Ligeti" (Avi)
134 STEREO 9/2014
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FOTO:DELPHINE
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